Vom Frust und Sonnenschein
Donnerstag 05. Juli: Gerade haben Ina und ich die Kinder zur Kinderbetreuung gebracht, jetzt sind mein Weib und meine Schwiegermutter mit einem Schwung dreckiger Kinderklamotten zur Waschmaschine unterwegs. Es regnet in Strömen, Lufttemperatur 15° C, Wasser 17°. Leicht frustriert sitze ich in unserem Appartement der Wasserferienwelt und blicke auf Vilm, die ehemalige Parteibonzeninsel. Das mitgenommene Folkeboot von Opa Klausi zerrt bei heftigen Schauerböen an den Leinen und hat eigentlich momentan nur einen Sinn: Regensammler!
Wie war das? Wer einmal nach Rügen kommt, will nirgendwo anders mehr Urlaub machen; so steht es im Merian-Heft über die Insel… Da denke ich doch lieber drei Wochen zurück, an einen schönen Kurztrip mit meinem Folkeboot. Statt einer Woche Regen hatten wir sieben Tage schönsten Sonnenschein, Flaute statt Sturm und dänischen Frohsinn statt muffeliger Rüganer. Aber erstmal von vorn:
Nach problemloser Trailerei kranen wir am Mittwochmorgen bei Henningsen und Steckmest in Kappeln an der Schlei ein, stellen die Segelstange, holen zollfreie Zigaretten und Spirituosen und schon sind wir auf dem Weg. Der neue 4PS-Viertakter von Mercury schiebt uns aus der Schlei, während Peter und ich uns dick mit Sonnenschmatze einschmieren. Der Stern brennt gnadenlos vom Himmel und lässt den hinter Schleimünde zubereiteten Mount Gay-Cola schnell seine Wirkung tun. Da man auf einem Bein schlecht stehen kann, gibt es zur Gulaschsuppe aus der Dose gleich noch einen. Noch immer brummt der Außenborder, entweder kein Wind oder Fast-Flaute aus Nordost, genau da wollen wir aber hin. Querab der Nordspitze von Ärö gibt es endlich ein bisschen Wind. Hoch am Wind können wir so Avernakö anliegen.
Vor dem Hafen sollen eigentlich zwei grüne Tonnen liegen, die den Weg in den idyllischen Hafen weisen. Wir sehen im Gegenlicht der schon tief stehenden Sonne leider nur eine. Nur unter Groß halten wir trotzdem auf den Hafen zu. Rumms, wir sitzen bombenfest auf hartem Sand. Trotz Kränken und Außenborder Vollgas rückwärts keine Chance. Selbst aussteigen und schieben hilft nicht!
Zum Glück kommt ein etwas hausbacken wirkendes Stahlschiff aus Kiel und wirft uns an einer Schwimmweste eine dicke Schleppleine herüber. Die kräftige Maschine unseres Retters befreit uns im Nu aus der misslichen Lage. Zur Belohnung laden wir die Crew zu einem kleinen Umtrunk in unser Cockpit. Es wird ein recht lustiger Abend, der allerdings schon früh zu Ende ist. Die ersten drei Schachteln Prince Denmark, eine Flasche Mount Gay und eine halbe Flasche Gin sind lenz, das reicht auch fürs Erste.
Am nächsten Morgen weht der Wind mit 2 - 3 Bft aus ENE, wieder genau auf den Kopf. Also Segel hoch und Kreuz in den Svendborgsund. In Troense belohnen wir uns mit einem dicken Eis für rund 40 Wenden im engen Teil des Sundes, laufen dann aber schnell wieder nach Svendborg zurück, wo wir im Stadthafen einen schönen Liegeplatz unweit von Bendixen's Fischbude ergattern. Die eigene Küche bleibt heute kalt, es gibt Schollenfilets mit Pommes und reichlich Remoulade vom Fischhöker.
Freitagmittag sollen sich in Svendborg viele Holzwürmer zu einer vom Freundeskreis Klassischer Yachten (FKY) organisierten Sternfahrt treffen, dafür wurde die gesamte nördliche Pier im Stadthafen gesperrt bzw. reserviert. Wir verholen deshalb schon am frühen Morgen in diesen Bereich, damit wir auf jeden Fall noch eine Steckdose für unseren schwarzen Festmacher finden. Bis Mittag haben wir erst einen Nachbarn, das sieht nach einer eher trüben Party aus. Glücklicherweise gibt es am Nachmittag eine Besichtigung auf der Ring-Andersen-Werft, die für etwas Kurzweil sorgt. Bis zum Abend sind zwölf Boote eingelaufen, die Crews verteilen sich über ein paar Boote zu kleineren Bordparties. Wir haben Glück, Eike und Britta, die beiden einzigen Damen unter 40 sitzen bei uns auf dem Boot und tragen mächtig zur Leichterung unserer Bacardi-Vorräte bei. Es hätte noch ein netter Urlaubsflirt werden können, wenn da nicht Horst, der Papi von Britta ins Spiel gekommen wäre. Er amüsiert sich köstlich über die Songs von Matrose/Segelmacher Frank Schönfeld und trinkt mir meinen guten Whisky weg. Um halb zwei schließt die Bar, schließlich haben wir noch ein paar Tage vor der Brust.
Für Samstag steht eine weitere Werftbesichtigung an, diesmal bei der berühmten Walstedt-Werft im Thurö-Bund. Walstedt genießt einen exzellenten Ruf für die Restaurierung von Holzyachten. Auch etliche Folkeboote - unter anderem Haymo Jepsens "Sundari" - wurden hier grundüberholt. An der Pier liegen ein top-restaurierter Zwölfer und die "AR" von Tom Nitsch, dem bekannten Segelfilmemacher. Tom sitzt im Cockpit und liest gemütlich die Zeitung, als der von Sonja Walstedt geführte Tross von Schaulustigen vorbeiflaniert. Es wird viel gefachsimpelt, das Kernthema ist immer wieder - welcher Lack bei welchen Temperaturen und ob und wie verdünnt. Walstedt empfiehlt RYLARD, einen italienischen Einkomponenten-Lack, der "so ist, wie Epifanes mal war"…
Nach einem kurzen Bad im Thuröbund machen wir uns auf den Rückweg nach Svendborg, wieder mit Horst im Schlepp, der auf seine beiden Mädels aufpasst. Auch er geht baden, hat aber wohl nicht bedacht, dass es nicht ganz einfach ist mit mindestens hundertzwanzig Kilos und ohne richtige Badeleiter wieder an Bord zu kommen. Mit einem an den Traveller geknoteten großen Palstek und Hilfe von Britta und mir kommt er dann doch irgendwie wieder aufs Boot.
Der am Abend empfangene DWD-Wetterbericht verspricht für Sonntag umlaufende Wind bzw. ganz leichten Nordost, deshalb beschließen wir um 22:00 Uhr auszulaufen um wenigstens noch ein paar Meilen mit der Abendbrise nach Norden zu segeln. Wir schaffen es nur bis Lundeborg und selbst bei diesem Kurztrip muss der Außenborder noch mithelfen.
Am nächsten Morgen erdrückt uns die Hitze schon um halb acht. Schnell laufen wir aus und frühstücken im Cockpit, kein Problem, wenn der Jockel läuft. Zum Glück haben wir einen vergleichsweise leisen Viertakter gekauft, der mit einem Verbrauch von unter einem Liter in der Stunde bei fünf Knoten Fahrt außerdem noch sehr sparsam ist. So motoren wir Stunde um Stunde und passieren erst die Brücke über den Großen Belt, dann Kerteminde, die Nordspitze von Fyn, Ballen auf Samsö, um schließlich in Langör auf Samsö festzumachen. In der Bucht kurz vor dem Hafen binden wir ‚Ultima Ration’ an einer dicken gelben Tonne an und nehmen ein herrlich erfrischendes und ausgiebiges Bad im nun schon 21° C warmen Ostseewasser.
In Langör hat die Saison noch nicht begonnen, selbst der Hafenkiosk ist noch im Winterschlaf. In dem sonst oft überfüllten besonders idyllischen Naturhafen gibt es freie Liegeplätze ohne Ende. Für Kurzweil sorgen einige brütende Seeschwalben direkt neben der Mole, die ihre Nistplätze unter vollem Einsatz verteidigen. Wütend stürzen sie sich im Sturzflug auf jeden Passanten und schrecken selbst vor dem Einsatz von C-Waffen nicht zurück. Peter hat jedenfalls einen dicken Vogelschiss auf dem Arm, als er am Toilettenhäuschen ankommt, eine herrliche Schmiererei. Da keine Möglichkeiten zum Frischproviantkauf bestehen, gibt es zur Abwechslung - wie schon auf Avernakö - mal wieder Bratkartoffeln. Zur besseren Verdauung machen wir noch einen kleinen Spaziergang am Wasser entlang und freuen uns an der fast unberührten Natur.
Auch der nächste Tag ist sonnig und flau, so langsam beginnt die Motoritis zu nerven. Hilft aber nichts, anders kommen wir nicht nach Arhus, dem eigentlichen Ziel dieser Reise. Unterwegs dorthin nehmen wir wieder ein Bad in der Ostsee, die hier unglaubliche 24° Wassertemperatur hat. Im Anschluss gibt es FKK an Deck, damit auch die sonst weißen Stellen mal Farbe bekommen. Pit wird beim Sonnenbad auf dem Vorschiff vom Schwell einer Katamaran-Schnellfähre, die uns in sehr knappen Abstand passiert, völlig überflutet. Diese Mistdinger sollten verboten werden!
In Arhus mieten wir uns erst einmal ein paar Fahrräder und erkundeten die Stadt. In der Fußgängerzone gibt es viel zu bestaunen, egal ob nette Geschäfte oder auch dänische Schönheiten in zum Teil recht schrillem Outfit. Als brave Seeleute widmen wir uns dann aber doch lieber der Kultur und besuchen das wunderschöne Freilichtmuseum "Gamle By", unweit der City. Hier wurden zirka sechzig alte Gebäude aus ganz Dänemark liebevoll grundsaniert und zu einer "hyggeligen" Kleinstadt im Stil des frühen 19. Jahrhunderts zusammengefügt. Man kann viele Werkstätten und Läden besichtigen, in denen zum Teil zeitgenössisch gearbeitet wird. Auf den Kopfsteinpflaster-Sträßchen fahren noch Kutschen und in den Hinterhöfen laufen glückliche Hühner und Gänse umher. Wenn nicht hinter der Stadtmauer ein paar Hochhäuser mit voll verglasten Fassaden stehen würden, könnte man wirklich die Zeit vergessen.
In einem australischen Steakhouse gönnen wir uns ein feistes Mahl. Auch wenn hier Steaks bis zu 2.000 Gramm (!!!) geboten werden, bleiben wir etwas bodenständiger und begnügen uns mit 300 bzw. 500 Gramm, auch das macht uns satt und träge. Zurück an Bord erfreut uns ein Absacker aus der Transitlast und die Freude über den für den nächsten Tag angesagten West bis Nordwest mit 4 bis 5 Bft.
Gut gelaunt stehen wir am nächsten Morgen auf, es pfeift tatsächlich aus West. Schnell machen wir uns auf den Weg in die City um dort zu frühstücken und um die Drahtesel wieder abzugeben. Gegen elf Uhr machen wir uns auf den Heimweg, Ziel Middelfart im kleinen Belt.
Mit südlichen Kursen und Rauschefahrt geht es zunächst raumschots aus der Arhusbucht. Da wir ab Hov höher ran müssen, stecken wir vorsichtshalber ein Reff ins Großsegel. Noch immer zeigt die Logge in den Böen sieben Knoten an, also schnell genug. Leider flaut der Wind schon wenig später deutlich ab und dreht auf West. Noch kommen wir mühelos mit einem Anlieger über die Flachs rund um Endelave. Querab Juelsminde flaut der Wind noch mehr ab und dreht weiter auf Südwest, schon wieder von vorn! Mühsam kreuzen wir gegen Wind und Strom in den kleinen Belt. Gegen 20:00 Uhr kommen wir ziemlich platt in Middelfart an. Wir finden einen Platz neben einem freundlichen Dänen und bauen zum ersten Mal die neue Kuchenbude auf, weil es nach Regen aussieht. Anschließend gehen wir in einem Café in der Nähe des Hafens zum Essen und genießen den wunderbaren Blick auf den Belt.
Die Langfristprognose des DWD verheißt für die nächsten Tage nicht viel Gutes. Wieder Winde auf den Kopf und zudem noch im Überfluss. Insbesondere am letzten geplanten Segeltag soll es mit Südost 8 - 9 richtig viel Wind aus der falschen Richtung geben. Nun ist eine Planänderung erforderlich. Statt in kürzeren Etappen und Abstecher nach Flensburg bis Samstag nach Kappeln zu segeln, wollen wir nun schon am Donnerstag - also übermorgen am Ziel sein.
Tapfer kreuzen wir am Mittwochmorgen bei schwachem Wind gen Westen und später nach Südwesten. Gerade als ich Pit beim Passieren des Aarösunds von den garstigen Windverhältnissen beim Goldpokal vor einigen Jahren erzähle, wird uns gleich eine ganze Herde junger Kühe ins Segel geworfen. Eine kräftige Schauerböe präsentiert uns gleich gute 6 Bft; verbunden mit einer leichten Rechtsdrehung des Windes entsteht innerhalb von wenigen Minuten eine kleine gemeine und chaotische Welle, die nicht zur aktuellen Windrichtung passt. Pit gibt sich alle Mühe, die kleinen Dinger so gut wie möglich auszusteuern, trotzdem kommt ab und an grünes Wasser über Deck und findet den Weg durchs Schiebeluk auf die Polster. Na klasse!
Der Regen hält bis zum Eingang in den Alsen Sund und spült unser Ölzeug kräftig mit Süßwasser. Danach reißt es auf und flaut ab. Trotzdem schaffen wir es noch bis Sonderburg, wo wir im Stadthafen an einer Comfortina längsseits gehen. Vor uns liegt ein Traditionssegler aus Kiel, dessen Crew auf der Pier gegrillt hat. Offensichtlich waren die Augen größer als die Mägen, jedenfalls werden die Jungs nicht allein mit ihren Fleischmassen fertig. So werden wir zum Mitessen eingeladen, also wieder keine Spaghetti Bolognese. Das in Middelfart gekaufte Hackfleisch wird deshalb zu Frikadellen verarbeitet.
Zum krönenden Abschluss des Tages lenzen wir die verbliebenen Reste aus unserer Transitlast und bauen das Heimkino unter der Kuchenbude auf. Es gibt James Bond in Dolby Surround über die Bordlautsprecher. Prima!
Am Donnerstag, unserem letzten Segeltag, kommt dann tatsächlich unser Drachen-Spinnaker aus dem Sack. Klasse Segel, doch leider dreht der Wind schon kurz nach dem Setzen so ungünstig, dass wir das Ding wieder bergen müssen. Aber wenigstens war die Anschaffung von neuen Blöcken, Schoten und Fall nicht völlig umsonst.
Als pflichtbewusste Bundesbürger setzen wir beim Eintreten in deutsche Hoheitsgewässer unseren Zollstander. Bei Schleimünde treffen wir prompt einen Zollkreuzer, der uns allerdings unbehelligt lässt. Auch der Zöllner in Kappeln wirft nur einen kurzen Blick in unser Anschreibebuch und entlässt uns ohne Kontrolle an Bord. So sind wir dann am frühen Nachmittag wieder bei Henningsen & Steckmest und bereiten uns auf das Auskranen vor.
Vor der Heimfahrt an die Möhne besichtigen wir noch ein von den Steckmest-Söhnen in liebevoller Kleinarbeit restauriertes Folkeboot aus den 50er-Jahren, das in den nächsten Tagen getauft wird. Es ist eine echte Augenweide und weitestgehend im Originalzustand.
Rückblickend hatten wir irrsinniges Glück mit dem Wetter, irre viel Spaß, aber dafür leider meistens keinen oder wenig passenden Wind. Trotzdem allemal besser als Rügen bei Regen. Vor meinem nächsten Urlaub auf Rügen werde ich wohl doch noch mal rund Fyn segeln, am liebsten wieder mit Peter, weil’s so entspannt ist.
Es grüßt vom verregneten Rügen
Kiki (F-GER 1033)